Texte
Diverse Texte von heute und gestern.
Reise nach Kleinsanktnikolaus
Eine seit zwei Jahren, von der Vorstandschaft der HOG-Kleinsanktnikolaus, geplante Reise zu unserem Heimatdorf Kleinsanktnikolaus fand endlich statt. Eine emotional hoch motivierte Reise mit einem konkreten Reiseziel, das mit sehr vielen Aufgaben verbunden war. Das hieß: Dokumentation der restlichen noch vorhandenen Spuren des ehemaligen deutschen Lebens in unserem Dorf und in der Umgebung.
Die Reisegruppe bestand aus den Herren Franz Wesser, Richard Lind und Josef Watz. Alle Mitglieder der Vorstandschaft.
Eine minutiös erarbeitete To-do-Liste musste konsequent abgearbeitet werden. Natürlich, wie immer, wenn der Wunschzettel groß ist, das Zeitfenster aber klein, bleibt etwas unerledigt. Gott erschuf die Welt in sechs Tagen, wir hatten nur vier Tage zur Verfügung. Somit konnten aus zeitlichen Gründen nicht alle Punkte abgearbeitet werden. Gefühlt haben wir aber trotzdem sehr viel erreicht und das Reiseziel wurde nicht verfehlt.
Die To-do-Liste
- Dokumentation Friedhof
- Reparatur Friedhofszaun & Tor in Auftrag gegeben
- Dokumentation der Straßen
- Aufnahmen mit der Drohne
- Alten bestehenden Hausbestand fotografieren
- Dokumentation der Kirche
- Renovierung der Dreifaltigkeit in Auftrag gegeben
- Jubiläumsfilm 1932 im Museum besorgen
- Aufnahmen von der Ziegelfabrik machen
- Kekesch dokumentieren
- Das Kolb’sche Grab im Neuarader Friedhof finden
- Bilder vom Leichenwagen machen
- Pfarrer Dirschl besuchen
- Wallfahrtsweg und Maria Radna
- Dokumentation eines alten deutschen Hauses
Die Anreise
Nach einer von enormen Regengüssen begleiteten Fahrt kamen wir am 24.05.2017 abends gegen 20:00 Uhr in Arad an. Während man früher die ungarische Pusta und deren rumänischen Ausläufer auf der Landstraße an sich vorbeiziehen lassen musste, kann man jetzt Arad per Autobahn erreichen. Das Sponsoring der EU im Straßenbau hat zur Folge, dass Rumänien am europäischen Autobahnnetz angeschlossen wurde und selbst Neuarad über eine eigene Ausfahrt verfügt.
Der Zauber der Ankunft
Je näher man dem Ziele kommt, umso wacher und aufmerksamer wird man. Die Chemie in unserem Körper arbeitet auf Hochtouren, damit die Aufnahmefähigkeit gesteigert wird und wir ja nichts verpassen. Wir sind emotional erregt und je nachdem wie weit unser seelischer Abstand zum Wasser ist, oft den Tränen sehr nahe.
Da es das große Ganze von früher nur noch in unseren Erinnerungen gibt, suchen wir das Kleine. Die Reste, die Überbleibsel aus der vergangenen Zeit, aus unserem vergangenen Leben.
Da dieser Straßenbahntyp, der fuhr damals schon. Damals vor 40 Jahren. Oder dieses Haus, es steht noch, strahlt aber in einer neuen „rumänischen“ Farbe. Die alten Weiden am Marosch-Ufer stehen heute noch. Wie schön…. Da diese Schlaglöcher, die haben sie noch immer nicht repariert, oder sind die neu?
Die mit EU-Mitteln reparierten Straßen sind übrigens super. Karlsruhe hat viel schlechtere Straßen.
Letztlich ist es so, dass alles auf dem Prüfstand kommt und in ein Raster Früher-Heute eingebettet wird.
Die Momente der Ankunft sind natürlich prägend und meinungsbildend.
Das Quartier
Der Nostalgie- und Heimwehtourismus der Deutschen hat in Neuarad diverse Hotels und Pensionen entstehen lassen. Wir wohnten in einer dieser Pensionen, deren Standort nicht weit von unserem Kleinsanktnikolaus lag. Eine ausgewiesene ***-Sterne Pension, für uns nicht teuer, sauber und im Großen und Ganzen ordentlich. Obwohl die Pension relativ neuwertig ist, merkt man den handwerklichen Unterschied beim Vergleich mit einer Pension aus Deutschland oder Österreich.
Es bliebe zu klären, ob die ***-Sterne Bewertung einem national rumänischen oder einem internationalen Standard entspricht. Unterm Strich: empfehlenswert.
Das Dorf
Das Straßenbild hat sich sehr verändert. Bis in den letzten Winkel sind alle Straßen mit EU-Mitteln asphaltiert worden. Eine neue Kanalisation kam hinzu. Der unter den Deutschen bevorzugte Straßenbaum, die Akazie, musste weichen für Pflaumenbäume, die kleinwüchsig in mehreren Reihen stehend zwar kaum Schatten geben, dafür aber den Rohstoff für den allgemein begehrten Schnaps (Ţuică) liefern.
Während die Häuser der Deutschen früher in zwei Kategorien eingeordnet werden konnten, Siedlerhaus und Querstehend, scheint es jetzt keine baulichen Vorgaben mehr zu geben. Es gibt alles, vom futuristischen Palazzo Prozzo über Neubauten, in diversen Stilrichtungen bis hin zu den alten noch bestehenden Häusern der Deutschen. Diese wiederum werden teils gepflegt und in ihrer Substanz erhalten. Der größte Teil der Häuser fristet allerdings ein trauriges Dasein und ist mehr oder weniger vom Zerfall bedroht. Putz und Farbe stammen zum Teil noch aus der Zeit der ehemaligen deutschen Besitzer.
Man hat den Eindruck, die Leute vegetieren vor sich hin und warten auf irgendwas. Augenscheinlich herrscht eine gewisse Motivationslosigkeit und materielle Not. Ein Gedanke drängt sich auf: Befürchten eventuell jetzige Hausbesitzer die Rückkehr der Deutschen, die mit offiziellen rechtlichen Mitteln ihr Hab und Gut zurückverlangen und es vielleicht bekommen?
Als Fazit lässt sich eine gewisse Ambivalenz in der Entwicklung Rumäniens feststellen.
- Nach Jahrzehnten von Demokratie und Marktwirtschaft sind ein paar Leute sehr reich geworden. Die große Masse allerdings blieb arm. Am Ende der Armutsskala stehen die Rentner. Das lässt sich in kleinem Maßstab auch in unserem Dorf sehen.
- Die Infrastruktur – Straßen, Internet – hat sich dank der EU-Fördertöpfe sehr positiv entwickelt. Die Internetqualität ist beispielsweise viel besser als in Deutschland.
Das kulturelle Erbe und die materielle Hinterlassenschaft der ehemals deutschen Bevölkerung sind am Verschwinden.
Das Pfarrbüro
Um in die Kirche in Kleinsanktnikolaus zu gelangen brauchen wir die Unterstützung des Pfarrers Mates Carol Dirschl. Herr Pfarrer empfing uns sehr freundlich in seinem Büro und zeigte uns anschließend auch die Neuarader Kirche. Der Zustand der Kirche, innen wie außen, ist sehr gut. Viel besser als der unserer Kleinsanktnikolauser Kirche.
Die Kirche
Einsam und verlassen steht sie da, träumt von den schönen alten Zeiten und harrt ihres unausweichlichen Schicksals. Und das, obwohl sie außen frisch renoviert, einen relativ guten Eindruck macht.
Einmal im Monat ist sie Gastgeberin einer Messe mit 5 bis 6 Kirchenbesuchern. Ihr elektrisches Glockengeläut funktioniert nicht mehr und auf der kleinen Kirchenorgel liegt aufgeschlagen ein rumänisches Kirchenlied. Ach ja, die Messen in den ehemals deutschen Kirchen werden in drei Sprachen zelebriert: rumänisch, ungarisch und deutsch.
Man merkt sie ist unbewohnt, sie riecht muffig, staubig und ungelüftet.
Ihr Hof, einst ein kleiner gepflegter Park, wirkt verlassen und ungepflegt. Das Gras ist meterhoch, in den Ritzen der Steinplatten sprießt die Natur, die sich alles zurückholt und der Buchs ist, wie überall in Europa, an seinem chinesischen Parasiten eingegangen.
Jede Ecke der Kirche haben wir bildtechnisch dokumentiert, inklusive Turm und Glocken. Selbst den Klang der Glocken haben wir aufgenommen. Ein kleines Rätsel haben die Glocken uns auf den Weg gegeben. Obwohl die Kirche 1938 geweiht wurde, steht auf allen drei Glocken das Baujahr 1921. Waren die Glocken vorher schon im kleinen Glockenturm der Schule im Einsatz?
Beim Abschied drehen wir uns nochmal um und haben den Eindruck wir werden von ihr beobachtet. Sagt sie gerade „lasst mich nicht allein zurück….“, oder bilden wir uns das nur ein?
Der Friedhof
Das Ende unseres irdischen Daseins endet würdevoll und schön in einem Grab. So der allgemein weitverbreitete Wunsch der Menschen. Für die Christen unter uns, wir warten – in geweihter Erde –, auf den Tag des jüngsten Gerichtes.
Was aber, wenn das Ende nicht mehr so würdevoll ist? Nicht nur Häuser zerfallen, auch Gräber. Beim Besuch des Friedhofs wurde uns der Spruch aus der Bibel so richtig bewusst. „Asche zu Asche und Staub zu Staub…..“. Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis alle deutschen Gräber verschwunden sind.
Gemessen an den Mitteln, die für die Friedhofspflege zur Verfügung stehen, ist der allgemeine Zustand des Friedhofs sehr gut. Das Gras ist gemäht und die Bäume geschnitten. Ein anerkennendes Lob an das Friedhofspfleger-Ehepaar. Sie leisten eine gute und ehrliche Arbeit. Den Zerfall sieht man an den einzelnen Gräben. Es ist ein sehr trauriges Bild. Umgefallene Grabsteine, zerbröselnde Betonplatten, versinkende Gräber….
Vereinzelt gibt es natürlich Gräber, die heute noch gepflegt werden. Gegen eine geringe Gebühr gibt es Leute in Kleinsanktnikolaus, die diese Arbeit gerne übernehmen.
Der Neuarader Friedhof
Auf der Suche nach dem Grab der Familie Kolb besuchten wir den Neuarader Friedhof. Der allgemeine Zustand ist schlechter als der Friedhof in Kleinsanktnikolaus. Die Natur ist hier schon wesentlich weiter und holt sich vieles zurück. Bedingt durch die Größe des Friedhofes wirkt der Zerfall fast erdrückender als in Kleinsanktnikolaus. Ganz extrem ist die „Vermüllung“ des Friedhofes mit Plastik. Auf Schritt und Tritt liegen Plastikflaschen herum. Selbst die Brunnen sind voll davon.
In seiner Remise stehend, haben wir ein paar Bilder vom zerfallenden Leichenwagen gemacht. Ein zweihundert Jahre altes Juwel deutscher Bestattungskultur. Wie viele tote Leichenvereinsmitglieder er wohl im Laufe der Jahre transportiert hat?
Das Kolb’sche Familiengrab haben wir natürlich gefunden und dokumentiert.
Der Wallfahrtsweg und Maria Radna
Am Sonntag, dem 28. Mai begaben wir uns, fahrend natürlich, auf den Weg nach Maria Radna. Wir fahren alle Stationen des Weges in den Dörfern an und machen Bilder. Obwohl es Sonntagvormittag ist, sind alle Kirchen, mit einer Ausnahme, geschlossen. In der Guttenbrunner Kirche, äußerlich sehr heruntergekommen, wird gerade eine Messe zelebriert. Eine Handvoll Gläubige sitzen verstreut in den Bänken und lauschen gerade der auf Rumänisch gehaltenen Predigt.
Die Bilder der ehemals deutschen Dörfer ähneln sich und wirken nicht mehr deutsch. Das deutsche Element hat seine Strahlkraft verloren.
Umso mehr strahlt die Wallfahrtskirche Maria Radna. Der ganze Komplex ist, mit Ausnahme des Kreuzigungsweges, frisch renoviert. Innen das gleiche Bild wie in Guttenbrunn. Ein paar Kirchgänger, Pilger waren keine zugegen, sitzen ziemlich verloren in einer riesigen Kirche. Dafür aber das Wort Gottes in drei Sprachen.
Um einen vollständigen Blick vom Parkplatz auf die Kirche zu bekommen, wurden die uralten Bäume im Vorfeld der Kirche gefällt. Auch Gottes Pracht und Herrlichkeit verlangt Opfer.
Der Rückweg, nördlich der Marosch, quasi den Schmalspurschienen des ehemaligen Elektrozuges folgend, ist angenehm und kurzweilig. Eine besondere touristische Attraktion ist der Anblick der Zigeunerpaläste im Ort Sâmbăteni. Eine wahrlich märchenhafte Bollywood Kulisse. In Glogowatz, das nördlich der Marosch liegt, ist unser Kleinsanktnikolaus, das an der gleichen Stelle südlich der Marosch liegt, zum Greifen nahe. Der Weg dahin geht aber über Arad.
Kekesch und Bujack
Die Verlängerung der Schulgasse führt in den Kekesch, vorbei an der letzten Straße im Ort, die „Tarafului“. Früher eine Ansammlung von selbst gezimmerten Wellblechhütten. Bewohnt von Sinti und Roma*. Armut pur. Heute stehen da, vermutlich EU-gesponserte, mehrstöckige Hochhäuser modernster Bauart.
Die alten großen Pappeln, welche den Weg bis zum Schmidt’schen Anwesen säumten, sind verschwunden. Den Feuchtbiotop (Krotteloch) unterhalb des Schmidt’schen Anwesens gibt’s auch nicht mehr. Von hier aus wurden früher die lauen Abende im Frühjahr mit Krötenrufe untermalt. Dafür steht aber noch das Schmidt’sche Haus.
Die Marosch wirkt, obwohl viel Nass die letzten Wochen vom Himmel kam, eher klein. Im Sommer verkommt sie scheinbar zu einem Rinnsal. Die „kleine“ Marosch, ein Nebenarm direkt auf Höhe unseres Dorfes, gibt’s auch nicht mehr. Hier hatten wir als Kinder und Nichtschwimmer auch baden dürfen.
Die Rückreise
Am Montag, dem 29. Mai treten wir die Heimreise an. Aber nicht ohne einen Schlenker über den Arader Wochenmarkt zu machen und sich mit ziemlich ungesunden, aber super fein schmeckenden Leckereien einzudecken. Nur ein paar Stichwörter: Käse, Grammeln, Speck, Wurst…. etc.
Wir haben viel erlebt, vieles erledigt, viel gestaunt und viele Eindrücke in die neue Heimat mitgenommen. Unter anderem auch einen Eimer „Heimaterde“, die wir beim nächsten Heimattreffen an unsere Landsleute verteilen werden.
*Die rumänischen Zigeuner möchten nicht Roma genannt werden, weil die Gefahr der Verwechslung mit Rumänen groß ist. Rumäne auf Rumänisch: Român
Auszug Heimatbrief - HOG Perjamosch
In den Erinnerungen eines perjamoscher Bürgers, findet sich eine Episode zu einer Begebenheit aus der Kavalleriekaserne in Kleinsanktnikolaus.
Interessant ist die Geschichte in der Kaserne auch deswegen, weil sie eine Redewendung erklärt die in unserem Neuarader/Kleinsanktnikolauser Dialekt ziemlich verbreitet war.
Während man im hochdeutschen jemanden zum Teufel wünschte „Der Teufel soll ihn holen….“, gab es in unserem Dialekt auch die Variante: „Der Kozarek soll ihn holen..“ (Tɘ Kosɘrek soll ihn holɘ…)
Dieser Fluch war wesentlich konkreter und beängstigender als der mit dem Teufel, weil es diesen „Kozarek“ tatsächlich gab.
Der im perjamoscher Heimatbrief erwähnte Scharfrichter Kozarek stammte aus einer alten ungarischen Henkerdynastie. Als beamtete Scharfrichter waren sie durch ihre Taten in der ganzen K.u.K. Monarchie bekannt und gefürchtet. Der Name Kozarek wurde zum Synonym von etwas Bösem und Entsetzlichen.
Die Geschichte finden Sie im zweiten Abschnitt auf der zweiten Seite.